Samstag, 15. März 2014

Der Unterschied machts

Komisch, dass mich diese Tage hier so müde machen. Es ist eben doch ganz anders hier als zuhause! Aber was ist eigentlich so anders?

Vielleicht auch um mich selbst von der Rechtmäßigkeit meiner Müdigkeit zu überzeugen habe ich heute ein Experiment gestartet. Man stelle sich eines dieser Rätsel für Kinder vor, in dem man zwei Bilder vergleichen und die Unterschiede suchen muss. Ich habe heute also einen Tag lang die Unterschiede gesucht, das, was hier irgendwie nicht normal, sondern eben anders ist.

Es fängt heute Morgen an. Dass es Unterschiede gibt, merke ich an der eigenen Haut. Ich habe scheinbar überall blaue Flecken. Das kommt daher, dass die englischen Häuser keine geraden Böden haben! Ich schwanke also hin und her auf dem Weg vom Schlaf- ins Wohnzimmer und haue dabei x-mal gegen irgendwelche Türrahmen oder Geländer. Ob das wohl besser wird?

Ich dusche also morgens und style meine Haare. Heute mit extra viel Haarspray. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Frisur hier einfach nicht hält! So toll die Haare auch aussehen mögen, ein, zwei Stunden später sind sie zusammengefallen! (Liebe Regina, und du weißt ja, dass die Haare sitzen müssen!) :o) Vorgestern hat Louise mir eine mögliche Erklärung geliefert: Die Luft hier ist so feucht! Kein Wunder also. Entweder ich suche mir bald einen englischen Friseur, oder ich höre einfach auf, mich darüber zu ärgern.

Bevor ich aus dem Haus gehe, ziehe ich meinen Wintermantel an. Die Leute erzählen mir immer wieder, was für ein Glück es doch ist, dass ich Sonne mitgebracht habe. Erstaunlicherweise sehe ich heute auch viele Menschen im T-Shirt, sogar in Flipflops! Die Engländer scheinen das bisschen Sonne für den Ausbruch des Hochsommers zu halten. Dabei kann ich absolut nicht sagen, dass ich es warm finde! Mein Mantel bleibt zugeknöpft bis oben hin.

Das Geld bereitet mir weiterhin Probleme. Mann, mann, wer benutzt denn bitte heute noch Nicht-Euros?? Vor einigen Tagen habe ich an der Supermarktkasse einen Stau verursacht, weil ich mit einer 10-Pfund-Note ankam, von der ich sicher bin, dass ich sie von dir geschenkt bekommen habe, liebes Grischdli. :o) Ich hatte mich schon gefreut, dass es eine Pfundnote ohne die Queen drauf gibt. Aber die Verkäuferin ist zuerst zu ihrer Kollegin gelaufen, danach sogar zum Filialleiter! „Must be an old Scottish one. Haven’t seen one for ages!“ Am Ende hat sie den Schein behalten, aber ich hab mich echt drüber totgelacht und mit Zwinkerauge zu Chris gesagt: „You don’t even know your own money…“

Ja, und jetzt sitze ich im Wohnzimmer, nachdem ich vom „Tea service“ in der Kirche zurückgekommen bin. Tatsächlich scheint es hier nach beinahe jedem Gottesdienst Tee zu geben! An den englischen Tee habe ich mich längst gewöhnt! Im Gegensatz zu den Baked Beans aus der Dose, die ich zum Abendessen gegessen habe. Die Diocese hat mir freundlicherweise als survivor-Ausstattung die Küche mit Lebensmitteln gefüllt. Lustig, was sich da alles so findet. Unter anderem eben vier (!) Dosen Baked Beans – keine Ahnung, was ich damit machen soll.

So unterschiedlich das Leben hier ist, ich habe es mir ausgesucht. Und ich betrachte die Unterschiede als Herausforderungen. Herausforderungen, bei deren Bewältigung ich nicht allein bin. Gerade war Chris da mit seiner Frau Anita und hat für dieses Haus und für meinen Anfang gebetet: „Lord, make this house a welcoming place full of love and laughter.“ Noch etwas ist anders hier: Nicht nur durch die Menschen hier und ihre Frömmigkeit fühle ich mich Gott so nahe, wie an keinem anderen Ort. Bald gibt es keine Ausrede mehr, bald bin ich überzeugt davon, dass Gott mich an diesen Ort geschickt hat. Auf jeden Fall bin ich sicher, dass mich diese drei Jahre auch in spiritueller Hinsicht verändern werden. Und vielleicht werde ich irgendwann nicht mehr die Unterschiede im Bild suchen, weil sie dann in mir selbst sind...

Being a part of the city

Wenn ich heute an meinem Blog schreibe, sehe ich the city at night von einem ganz besonders Platz aus: Meinem neuen Zuhause! Im Laufe des Tages bin ich hierher umgezogen, in mein überdimensional riesiges Haus – nach zwei Wochen aus dem Koffer und zwei unterschiedlichen Gästezimmern in unterschiedlichen Ländern. Ich hätte nicht gedacht, dass es sich so gut anfühlen würde, ein eigenes Zuhause zu haben. Jetzt bin ich endlich richtig angekommen in Bristol!

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Pam, eine Nachbarin habe ich schon getroffen, sie ist wirklich sehr freundlich und sehr hilfsbereit, aber das scheinen hier irgendwie alle zu sein. Alle sind nett zueinander und scheinbar lustig und lässig gelaunt. Ganz wie man über sie sagt, haben die Engländer die Kunst der Höflichkeit perfektioniert. Ich finde es schwierig, zu erkennen, was Höflichkeit ist, und was ernst gemeint.

Jedenfalls habe ich mir von allen Ecken und Enden Dinge zusammengeliehen, so dass ich fürs erste hier leben kann: Bettdecke und Kissen, Teller und Tasse, Internetstick, Schraubenzieher, sogar einen Teekessel – alles von unterschiedlichen Menschen. Hoffentlich weiß ich am Ende noch, wem eigentlich was gehört.

Trotzdem fühlt sich mein Leben noch so an, als würde ich in meinem Haus campen. Neben Strom und warmem Wasser habe ich eine auf dem Boden liegende Matratze, einige Stühle und einen Tisch vom Vormieter, seit gestern auch einen Poäng-Sessel von IKEA. Und the lemon natürlich, sicher geparkt vor der Garage. Alles was man zum Leben braucht also! :o)

Für heute abend bin ich einfach nur glücklich. Ich bin endlich angekommen, und es kann losgehen!

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