Montag, 10. März 2014

Das eigentliche Abenteuer

1898284_10203217241733967_1532968377_nLangsam haben meine Knie aufgehört zu zittern. Aber es hat lange gebraucht.
Nachdem ich eine für deutsche Verhältnisse völlig überteuerte Autoversicherung abgeschlossen habe, habe ich endlich mein Auto! „The lemon“ – benannt nach dem Citroenchen. Klein, rot, sehr sauber, vollgetankt, ein schönes Autochen.
Das einzige, wovor ich wirklich Angst hatte, war das Fahren auf der linken Seite. Es kommt immer anders – als wesentlich schwieriger stellt sich heraus, die Breite des Autos von der rechten Seite aus beurteilen zu können. Nachdem ich den Spiegel eines parkenden Autos touchiert habe, fühlte Chris sich bemüßigt, mir erstmal driving lessons zu verpassen. „A little bit more to the right – yes, your doing brilliant!“ – Fahrlehrer wäre tatsächlich eine Zweitkarriere für ihn! Trotzdem: der Schock sitzt tief. Selbst das vorerst unfallfreie Bewältigen des mehrspurigen zentralen Kreisverkehrs inmitten der Stadt kann den kaum vertreiben. Aber es gibt eine Rettung: Ein Schild mit einem grünen „P“ darauf, für Fahranfänger. Übrigens haben sich Louise und Patrick sehr gewundert, warum Erbsen auf die komischen Deutschen eine solch beruhigende Wirkung haben („Now I’m feeling better with a big green p(ea) at the back of my car.“)!

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Sonntag, 9. März 2014

Be silent, she’s enjoying!

Ein neuer Tag, an dem ich mit dem Gefühl aufwache, es kaum glauben zu können: Ich bin wirklich in Bristol! Außerdem ein weiterer Tag, an dem ich nach dem Duschen bemerke, eine Stunde zu früh aufgestanden zu sein, weil Wecker, Armbanduhr und ich uns immer noch nicht einig sind.
Der Gottesdienst in St. Anne’s verläuft liturgisch unspektakulär, wie ich es schon von meinem Vorbesuch kenne. Was das Wiedersehen mit der Gemeinde betrifft – „Sorry, I know you, but what’s your name again?“ – dafür umso interessanter. Statt Predigt darf ich mich und meine Theologie der Gemeinde vorstellen – hinter den Punkt auf meiner Liste „erste freie englische Rede“ kommt also ein Haken.
013 Nach dem Gottesdienst werde ich spontan auf eine Tasse Tee eingeladen zu Lucie, 28, die mit ihrem Ehemann, Anna und Jorge in einer WG um die Ecke wohnt. Zu meiner Begeisterung ergibt sich ein recht tiefes theologisches Gespräch – das erste von zweien an diesem Tag – über Christentum in Bristol und die Gemeindesituation, aus dem ich mich sogar vorzeitig verabschieden muss, damit ich Chris nicht verpasse, Ökumenebeauftragter und mein Ansprechpartner. Er hat mich zum Mittagessen mit seiner Familie eingeladen. So ein die-kümmern-sich-um-mich-Stress! Anita (Chris’s Frau) hat wunderbares Hühnchen mit Bratkartoffeln und Gemüse gekocht. Eines weiß ich schon nach zwei Tagen: Die Vorurteile über englisches Essen sind absolut nicht wahr! Als sie danach selbstgemachte Brownies mit der in England ungeschlagen als Soße servierten Sahne auftischt, beiße ich in das Leckerste, das ich seit langer, langer Zeit gegessen habe. Auf einmal macht Chris „Shhh!“ und sagt mit verdrehten Augen und einer die Hand langsam zum Mund führenden Geste den Satz, der dem heutigen Eintrag als Überschrift voransteht… Nachdem ich laut lachen muss, fühle ich mich sehr verstanden und freue mich riesig über die Tupperdose voll Brownies, die Anita mir später mit nachhause gibt.
Ich bin einfach nur glücklich über die Gesellschaft dieser wunderbaren Menschen, die mich aufnehmen, als wäre ich eine von ihnen, und die bereit sind, ihr Leben in so liebenswürdiger Art und Weise mit mir zu teilen!

Samstag, 8. März 2014

Who’s Harry?

011 Es ist Nacht geworden über der Stadt, ich sitze im Loft von Louise und Patrick's Haus und sehe über die beleuchteten Dächer von Bristol. Da denke ich nach, was ich gerade erlebt habe.
Gerade noch habe ich mit meinem bayrischen Vorgänger Henning beim Stadtrundgang durch das wunderschöne Bristol und beim Italiener über die englische Fähigkeit nachgedacht, Dinge gelassen zu nehmen - völlig undeutsch also. Und genau eine halbe Stunde später bietet sich mir eine Gelegenheit, ebendiese Fähigkeit ganz praktisch einzuüben.
Ich möchte nach einem anstrengenden Tag in das geborgte Bett. Hilton Road ist die Straße, daran erinnere ich mich, und daran, dass ich die Hausnummer aufgrund der Überschaubarkeit der Straße schon finden werde. Der Araber im Taxi fragt auffällig oft nach der Straße, und wo sie wohl liegt, aber ich habe ja vorsorglich am Morgen alles auf meinem zum Abschied geschenkten Stadtplan eingezeichnet. Geduldig zeige ich dem Mann also die Karte wieder und wieder, lächle ein bisschen darüber, dass wir beide des Englischen nicht außergewöhnlich mächtig sind. Tatsächlich findet der Mann die Straße. Ich gebe Trinkgeld, obwohl ich das Gefühl habe, durch die Nachfragerei ist mehr Zeit verloren gegangen als unbedingt hätte sein müssen.
Ca. 10 Minuten später ist es mir klar: In dieser Straße stehen typisch englische Häuser, aber das Haus von Louise und Patrick ist nicht dabei. Dies ist der Moment, denke ich: Gelassen bleiben! Ich krame in meiner mit Autoversicherungsunterlagen, Bankbroschüren, gekritzelten Zetteln zu Telefon- und Handyangeboten und dem zur Sicherheit mitgeschleppten Bargeld überfüllten Handtasche – aber da finde ich den Zettel mit den Telefonnummern nicht. Muss ich heute morgen aus der Tasche genommen haben. Weder Carla oder Michael, noch Chris oder gar Louise im Urlaub kann ich also anrufen.
Spätestens jetzt kommt er: der deutsche Angstschweiß. Noch dazu fällt mir erst jetzt auf, dass die Gegend nicht gerade die beste in Bristol zu sein scheint. Ein mittlerweile ziemlich kalter Wind weht um Mülltonnen und verrostete Zäune. Die zahlreichen Handyshop-Besuche scheinen mir die einzige Auswegmöglichkeit zu zeigen: Ich brauche Internet!
Unverhoffterweise findet sich gegenüber der Hinton Road ein Pub. Davor stehen einige ältere Frauen, die auf meine Frage auch genauso reagieren: „We are old. We don’t have smartphones.“ Ok, sag ich, aber anscheinend kann selbst mein deutsches Gesicht leichte Anzeichen von Panik nicht verbergen. Deshalb jedenfalls zeigt sich die rothaarige der beiden Damen hilfsbereit. Ich soll zur Bar gehen und nach Harry fragen. Harry kann mir helfen, sagt sie. Naja, ich bedanke mich zwar überschwenglich, trage aber schon beim Öffnen der Schwingtür Zweifel in mir. Einladend sieht er eigentlich aus, der Pub, und so wie ich mir einen englischen Pub eigentlich nicht vorgestellt habe: hell und geräumig. An der Bar stelle ich mich neben ältere Männer und werde erstmal nicht bedient. Dann kommt ein junger, blonder Mann zu mir um mich zu bedienen. „Who is Harry?“, das ist stattdessen meine kurze Frage. Der Typ schaut mich an, seine Augenbraue hebt sich. Er wiederholt „Who is Harry??“ und schaut mich verschmitzt an. Blöder Anmachspruch, geht es mir durch den Kopf, was denkt der bloß? Aber süß ist er ja. Das Spiel macht Spaß: „Are you Harry?“, frage ich, und muss grinsen. Harry ist er nicht, natürlich nicht, trotzdem hört er sich meine Geschichte an, und als ihm klar wird, worum es geht, ist „Harry“ sehr hilfsbreit. Er holt sein eigenes Smartphone und antwortet auf mein: „I don’t want to keep you from working and earning money…“ mit „anything that keeps me from working is welcome.“ Nachdem ich Louise’s Mail und damit auch ihre Adresse nach unendlich langer Zeit gefunden habe, erklärt er mir geduldig, dass 26 Hinton Road, Easton, nicht in Fishponds liegt, und der gutmeinende Araber mich tatsächlich in die falsche Hinton Road gebracht hat. Er beschreibt mir auch, wo der Bus fährt, bzw. – „It’s not so easy.“ – wo die Taxis stehen.
Ich bin ihm sehr dankbar und erfahre danach sogar „Harry’s“ richtigen Namen: Simon. Simon lädt mich ein, mal sein Bier bei ihm zu trinken, und ich bin tatsächlich nicht abgeneigt.
Dass ich dem zweiten Taxifahren danach nochmal 8 Pfund zahle, um mich endlich nachhause zu bringen, macht mir trotz zahlreicher überteuerter Ausgaben an diesem Tag überhaupt nichts aus – denn die Investition in einen Ausflug nach Fishponds hat sich am Ende ganz schön gelohnt!

Freitag, 7. März 2014

The adventure begins

Unglaublich, wieviele Eindrücke in ein Hirn passen, ohne, dass es überläuft! Nach Organisation des Umzugs ins Ausland, Behördengängen, Telefon-, Strom-, Kontokündigung und Möbelverkauf (und dabei habe ich auch noch das Finale von „der Bachelor“ verpasst!) fühle ich mich einerseits emotional gebeutelt. Als ich im Flugzeug sitze, schütteln mich ein letztes Mal die Gefühle – von tiefer Trauer, Erschöpfung bis zur Angst und Nervosität. Und andererseits bin ich über mich selbst erstaunt. Ich fühle eine Energie und eine Vorfreude in mir, die ich mir gar nicht zugetraut hätte! Die kommt nicht von mir! Selten ist mir ein Bibelwort so sehr zum Ausdruck meiner Situation geworden, wie dasjenige, das ich zu meiner Ordination gewählt habe.
Ordination
Beflügelt fühle ich mich: Bristol, ich komme! Nach einem wunderschönen sonnigen Landeflug über Bristol sind es folgende Worte, mit denen Henning mich per Sprachnachricht am ersten Abend begrüßt: „Willkommen in der allerschönsten Stadt der Welt!“

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Zuletzt aktualisiert: 15. Sep, 20:56

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